Marinelager Tidofeld 1938-1945

Ursprünglich gehörte Tidofeld zu der bei Norden gelegenen Gemeinde Lütetsburg. Der Name Tidofeld nimmt Bezug auf einen alten Landsitz der Fürstenfamilie zu Inn- und Knyphausen und ist benannt nach deren Spross Namens „Tido“.

Ende der 1930er Jahre beschlagnahmten die nationalsozialistischen Machthaber das Gelände für Heereszwecke und enteigneten den Fürsten. 1938 begannen die Planierungsarbeiten, ab 1939 entstanden die ersten Baracken im RAD-Stil. (Von der Leitung des Reichsarbeitsdienstes (RAD) wurde frühzeitig die Entwicklung genormter Holzbaracken in Modulbauweise in Auftrag gegeben, die für verschiedenste Zwecke herangezogen wurden und die das Bild der Lager prägten.)

Später folgten zwei Offiziershäuser für die höheren Ränge sowie ein großes Kasernengebäude, das seiner Form nach H-Gebäude genannt wurde. Im Übrigen entstanden ein Exerzierplatz sowie eine Sportanalage mit Turnhalle.

Das Lager diente der Kriegsmarine als Durchgangslager, um Truppenbewegungen zwischen den wichtigen Seekriegshafenstädten Emden und Wilhelmshaven zu koordinieren. Außerdem diente Tidofeld der 4. Schiffsstammabteilung als Ausbildungslager.

Ab November 1944 wurde in Tidofeld der Sitz für den Kommandanten der Seeverteidigung Ostfriesland, Konteradmiral Kurt Weyher, eingerichtet. Die Seekommandantur Ostfriesland bestand aus fünf Abschnitten einschließlich Gebieten der niederländischen Küstenlinie sowie zahlreichen direkt unterstellten Verbänden.

Am 6. Mai 1945 rückten Kampfverbände der kanadischen Streitkräfte im nördlichen Ostfriesland vor und besetzten die Stadt Norden. Die Garnison Tidofeld wurde entwaffnet und das Lager an die Britische Besatzungsmacht übergeben.

Internierungslager Tidofeld

Unmittelbar nach Kriegsende erklärte die britische Besatzungsmacht den nördlichen Teil Ostfrieslands zu einem Internierungsgebiet für etwa 100.000 Soldaten der Deutschen Wehrmacht. Die Soldaten waren die in den Niederlanden und westlich der Weser in Gefangenschaft geraten. Ein kleineres Kontingent wurde in den Baracken des ehemaligen Marinelagers in Tidofeld untergebracht. Die Soldaten warteten hier auf ihre Entlassung im Herbst und Winter des Jahres. Gleichzeitig waren sie verpflichtet, an die Besatzungsmacht täglich eine Reichsmark Kost und Logis zu entrichten. Viele verdingten sich deshalb in der Landwirtschaft. Doch auch in anderen Bereichen wurden die Internierten tätig. Auf diese Weise entstand in Norden das erste Kinderbuch nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem aus Berlin stammenden Trickfilmzeichner Werner Klemke gelang es, gemeinsam mit dem ebenfalls in Tidofeld internierten Steindrucker Martin Kirchner Kontakt zu der in Norden ansässigen Druckerei Siebolts aufzunehmen. Trotz Notzeit und Papierknappheit war das Unternehmen bereit, noch im Sommer 1945 mit ihnen ein schmales, zwölf Seiten umfassendes Kinderbuch mit dem Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten“ der Brüder Grimm zu produzieren – nach bisherigem Kenntnisstand das erste deutsche Kinderbuch nach dem Zweiten Weltkrieg.

Klemke ließ sich von Kirchner in die Kunst des Steindrucks einführen, schrieb dann eigenhändig den Märchentext auf Stein und zeichnete die Bilder dazu. Täglich wurden auf einer alten Steindruckpresse 15 Exemplare hergestellt. In der Adventszeit 1945 reiste Siebolts mit der gesamten Auflage nach Hannover und tauschte sie dort auf dem Schwarzen Markt gegen Lebensmittel und andere Waren ein. Danach kam es noch zu einer zweiten Auflage.

Nach der Entlassung wohnte Werner Klemke noch kurze Zeit in Norden und kehrte 1946 nach Berlin zurück, wo er eine Karriere als prominenter Buchgestalter und Hochschullehrer begann.